Pressemitteilung Uni Augsburg
Quelle:
https://www.presse.uni-augsburg.de/unipressedienst/2005/pm2005_112A.shtml
112A/05 - 2. September 2005
TV-Duell: Inhalte statt Haare ...
Unpolitische Merkmale von Schröder und Merkel sind für die Wahlentscheidung unbedeutend
Augsburger Kommunikationswissenschaftler schreibt erste große internationale Vergleichsstudie zum Einfluss von Kandidatenimages auf das Wählerverhalten fort
Sind (nicht) gefärbte Schläfen von Spitzenpolitikern wichtiger als Sachaussagen? Ersetzt das neu gestylte Outfit politische Programme? Aus der Sicht der Wählerinnen und Wähler ist die Antwort eindeutig: unpolitische Kandidatenmerkmale - wie das Auftreten, das Aussehen und das Styling - sind für die Wahlentscheidung unerheblich. Was zählt, sind das überzeugendere Konzept für die zukünftige Politik, die Vertrauenswürdigkeit und die Leadership-Qualitäten. Dies ist das Ergebnis einer umfangreichen empirischen Analyse auf der Basis von Wahlforschungsdaten, die jetzt vom Augsburger Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Frank Brettschneider vorgelegt wurde. Für den Zeitraum von 1960 bis 2004 hat er 34 amerikanische Präsidentschafts-, britische Unterhaus- und deutsche Bundestagswahlen primär auf zwei Fragen hin untersucht: Welche Rolle spielen Kandidaten-Images bei der Stimmabgabe der Wähler? Und wie setzen sich diese Kandidaten-Images zusammen? Ergänzt wurden diese Untersuchungen durch eine repräsentative Bevölkerungsumfrage zur Sympathie von Gerhard Schröder und Angela Merkel vor der Bundestagswahl 2005.
Die Einzelergebnisse seiner Studie fasst Brettschneider folgendermaßen zusammen:
Kandidaten kompensieren Parteidefizite - oder sie verstärken sie
Kandidaten verleihen seit jeher dem Programm ihrer Partei Gesicht und Stimme. Sie können Defizite der Partei ausgleichen (wie dies Gerhard Schröder bei der Bundestagswahl 1998 gelang), sie können diese Defizite aber auch verstärken (Rudolf Scharping 1994). Kandidaten sind wichtig, um die eigenen Anhänger, die Stammwähler, zu mobilisieren. Sie müssen aber auch Wechselwähler überzeugen können, die sich von Wahl zu Wahl neu orientieren.
Nicht die Frisur macht Politik, sondern das was sich unter ihr verbirgt
Der ideale Kanzler soll aus Sicht der Wähler in erster Linie in Sachfragen kompetent sein. Dies gilt vor allem für die Wirtschaftspolitik und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Der Idealkanzler ist vertrauenswürdig und integer. Und er hat Leadership-Qualitäten - er ist entscheidungsfreudig, tatkräftig, redegewandt und führungsstark. Unpolitische Merkmale oder Eigenschaften - etwa das Alter, das Auftreten oder die Ausstrahlung - werden hingegen häufig in ihrer Bedeutung für das Wählerverhalten überschätzt. Wähler schenken ihnen zwar Aufmerksamkeit, auch reden sie mit Nachbarn oder Freunden über das Outfit des einen oder die (nicht) gefärbten Schläfen des anderen Kandidaten; wahlrelevant werden solche Themen jedoch fast nie. Dies gilt sowohl für die Bundesrepublik als auch für die USA und für Großbritannien. Wähler wissen, dass nicht Haare Politik machen, sondern dass es darauf ankommt, was sich unter den Haaren verbirgt.
Wer steht für welche politischen Richtungsvorstellungen?
Für die Wahlentscheidung zählt die wahrgenommene Sachkompetenz der Kandidaten. Dabei geht es nicht um Details der Steuerreform, um Einzelheiten des Subventionsabbaus oder um die Einbettung Deutschlands in ein kompliziertes außenpolitisches Geflecht. Aber es geht um politische Richtungsvorstellungen: Welcher der Kandidaten und welche der durch die Kandidaten repräsentierten Parteien steht stärker für soziale Gerechtigkeit als der Kontrahent mit seiner Partei? Wem wird die Aufrechterhaltung innerer und äußerer Sicherheit zugetraut? Wer schafft günstige wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen? Wer setzt sich für nachhaltigen Umweltschutz ein?
Candidate-Voting oder auch nicht - je nachdem
Entgegen der Personalisierungsbehauptung sind Kandidaten-Images in den letzten Jahrzehnten für das Wählerverhalten nicht kontinuierlich wichtiger geworden. Bei der Bundestagswahl 2002 etwa war der reine Kandidateneffekt deutlich geringer als bei der Bundestagswahl 1998 (dem bisherigen Höhepunkt der Personalisierung des Wählerverhaltens). Stattdessen variiert das Ausmaß des kandidatenorientierten Wählerverhaltens von Wahl zu Wahl. Ob und in welchem Umfang "Candidate-Voting" stattfindet, hängt von institutionellen, situativen und individuellen Faktoren ab.
Institutionelle Faktoren
Erwartungsgemäß orientieren sich Wähler im amerikanischen Präsidentialismus am stärksten an den Kandidaten. Die Direktwahl des Präsidenten, die relative lose Verbindung zwischen Partei und Kandidat, die exponierte Position der Kandidaten, die durch die weite Verbreitung der "Primaries" noch bestärkt wird - all dies trägt dazu bei, dass die Stimmabgabe der Wähler in den USA stark von den Kandidatenorientierungen beeinflusst wird. Sie sind dort wichtiger als die Parteiidentifikation, also die langfristige Bindung eines Wählers an eine Partei. Dadurch ist das Wählerverhalten in den USA flexibler, d.h. Wähler reagieren stärker auf die jeweiligen personellen Alternativen als in parlamentarischen Systemen. Im bundesdeutschen Parlamentarismus hingegen ist das Wählerverhalten nach wie vor deutlich von der langfristigen Bindung an eine der beiden Volksparteien geprägt. Auch werden Spitzenkandidaten und Parteien hier eher als Handlungseinheit wahrgenommen.
Situative Einflüsse
Wähler orientieren sich stärker an den Kandidaten, wenn sie zwischen den Parteien keine großen Positionsunterschiede oder keine unterschiedlichen Fähigkeiten zur Lösung politischer Probleme wahrnehmen. Und eine Orientierung der Wähler an den Kandidaten ist vor allem dann wahrscheinlich, wenn ein Kandidat besonders positiv, sein Kontrahent hingegen negativ beurteilt wird.
Individuelle Prädispositionen
Individuelle Abhängigkeiten: Bei Personen mit einer starken Parteiidentifikation ist ein eigenständiger Einfluss der Kandidatenorientierungen auf das Wählerverhalten die Ausnahme. Die langfristige Parteibindung wirkt dann als Filter für die Wahrnehmung und Bewertung der Kandidaten. Wähler ohne Parteiidentifikation orientieren sich stärker an den Kandidaten. Aber auch sie bewerten die Kandidaten unter dem Gesichtspunkt der Kompetenz, der Integrität und der Führungsqualitäten.
Sympathie: Was ist das?
In einer gemeinsam mit der Politikwissenschaftlerin Katja Neller von der Universität Stuttgart durchgeführten Untersuchung (repräsentative Umfrage unter 2315 Wahlberechtigten) zur Sympathie von Gerhard Schröder und Angela Merkel vor der Bundestagswahl 2005 wurde zudem deutlich: Die Kandidatensympathie und die Gesamtbewertung der Kandidaten hängen zwar zusammen, sind aber nicht identisch. Die Gesamtbewertung ist deutlich stärker politisch geprägt als die Sympathie. Dies gilt in den alten Bundesländern stärker als in den neuen Bundesländern. Sowohl die Sympathie/Antipathie gegenüber Schröder als auch gegenüber Merkel lässt sich zu etwa 40 Prozent auf unpolitische Merkmale zurückführen (Schröder: "gutaussehend", "selbstbewusst", "charmant", "arrogant", "aalglatt", "zu viele Ehen/Scheidungen", "Kind adoptiert" etc.; Merkel: "Frau aus Ostdeutschland", "verkniffen", "unattraktiv", "unvorteilhafte Frisur", "Kleidung", "ruhig" etc.). Etwa 25 Prozent der Sympathiebewertungen lassen sich auf die wahrgenommene Themenkompetenz zurückführen, gut 10 Prozent auf die Leadership-Qualitäten (Schröder: "Macher", "dynamisch", "konsequent", "inkonsequent", "tatkräftig" etc.; Merkel: "durchsetzungsstark in der Männerwelt", "zielstrebig", "Kämpfernatur", "konsequent", "inkonsequent"). Etwa 15 Prozent entfallen auf die wahrgenommene Integrität (Schröder: "hält Wahlversprechen nicht", "redet nur, tut nichts", "Lügner", "Schauspieler" etc.; Merkel: "redet nur, tut nichts", "geht über Leichen", "undurchsichtig", "verlässlich", "ehrlich" etc.). Für die Gesamtbewertung sind hingegen Themenkompetenz und Integrität wichtiger.
Relevanz für TV-Duell: Kanzlerin statt Miss Universum
Für das bevorstehende "TV-Duell" zwischen Gerhard Schröder und Angela Merkel heißt dies: Für die Wahlentscheidung am 18. 9. ist es nicht ausschlaggebend, wer nach dem Duell als der sympathischere Kandidat wahrgenommen wird. Ausschlaggebend wird stattdessen sein, wer in den von der Bevölkerung als wichtig angesehenen Themenfeldern als der kompetentere wirkt. Und wer seine Partei geschlossener hinter sich hat. Dies zeigte auch schon die Auseinandersetzung zwischen Per Steinbrück und Jürgen Rüttgers bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Wählerinnen und Wähler unterhalten sich zwar nach TV-Diskussionen auch über die Äußerlichkeiten der Kandidaten. Wichtiger als das Styling sind aber die politischen Positionen. Wenn sie am Wahltag ihre Stimme abgeben, spielen Frisuren, Falten und Körpersprache keine Rolle mehr, sondern die Konzepte für die Zukunft - und die Geschlossenheit der Partei. Schließlich will Angela Merkel ja zur Bundeskanzlerin gewählt werden und nicht zur Miss Universum.