Potentielles Erklärungsbewusstsein

Dr Franke Ghostwriter
beim durcharbeiten der KE 2 bin ich (auf S. 19) auf einen für mich widersprüchlichen Teil gestoßen. Es geht um fehlendes Erklärungsbewusstsein beim subjektiven Tatbestand der WE. Es ist mir klar, dass sich der Erklärende seine Erklärung zurechnen lassen muss, wenn er hätte erkennen können [...] und der Adressat schutzwürdig ist.

Weiter heisst es, auch logisch, dass wenn der Adressat der WE die Äußerung auch gar nicht als WE auffasst, also um das fehlende Erklärungsbewusstsein weiß, auch nicht schutzwürdig ist und damit auch das Erklärungsbewusstsein zu verneinen ist. Ergo ist keine WE abgegeben worden- der Weg zur Anfechtung entfällt damit.

Allerdings heisst es dann, dass bei potentiellem Erklärungsbewusstsein + die Anfechtung analog über § 119 möglich ist und eine Schadensersatzpflicht nach § 122 eintritt. Ok. ABER DANN: die SE- Pflicht entfällt, wenn der Adressat das Fehlen des Erklärungsbewusstseins kannte - wann kann es denn jemals zu solch einem Fall kommen??

Wenn der Adressat das Fehlen des Erklärungsbewusstseins kannte, ist er doch gar nicht schutzwürdig und das Erklärungsbewusstsein ist bereits bei der Prüfung des subjektiven TB der WE zu verneinen. Kann mir jemand meinen Denkfehler zeigen? Irgendwo hab ich da wohl einen Punkt nicht richtig verstanden.

Merci merci!
Juli
 
Wenn der Adressat das Fehlen des Erklärungsbewusstseins kannte, ist er doch gar nicht schutzwürdig und das Erklärungsbewusstsein ist bereits bei der Prüfung des subjektiven TB der WE zu verneinen.

Genau, in diesem Falle liegt auch nach Erklärungstheorie überhaupt keine Willenserklärung vor. Zum einen ist nichts anzufechten und zum anderen hat der Erklärungsempfänger keinen Schadensersatzanspruch analog § 122 II BGB (d.h. der fehlende Schadensersatzanspruch wird mit § 122 II begründet: der Empfänger wusste vom fehlendem Erklärungsbewusstsein des Erklärenden). Das ist übrigens der Unterschied zur Willenstheorie. Bei der Willenstheorie liegt auch (erst recht) keine Willenserklärung vor, aber der Erklärungsempfänger hat einen Schadensersatzanspruch (ebenfalls mit § 122 begründet).

Anders ist es nach Erklärungstheorie aber, wenn trotz fehlendem Erklärungsbewusstsein eine Willenserklärung vorliegt, weil der Erklärende verantwortlich und der Erklärungsempfänger schutzwürdig ist. Dann kann der Erklärende analog § 119 I BGB anfechten und der Erklärungsempfänger hat analog § 122 BGB einen Schadensersatzanspruch (denn er wusste nichts vom fehlenden Erklärungsbewusstsein).

Beachte, dass §§ 119, 122 bei Willenserklärung trotz fehlendem Erklärungsbewusstsein (Erklärungstheorie) nur analog angewendet werden. Der § 122 BGB gilt im Wortlaut nur für Nichtigkeit nach § 118 (der einzige gesetzlich geregelte Fall fehlenden Erklärungsbewusstseins) und für wirksam nach §§ 119, 120 angefochtene Willenserklärungen. Kannte der Erklärungsempfänger den Nichtigkeitsgrund (§ 118) bzw. den Anfechtungsgrund (§§ 119, 120) oder musste er ihn kennen, hat er keinen Schadensersatzanspruch.

Liebe Grüße
 
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