Legal- oder Administrativenteignung?

Dr Franke Ghostwriter
Legal- oder Administrativenteignung?

Hallo!
Ich schreibe grad eine Hausarbeit über eine Verfassungsbeschwerde zu Art.14 GG und habe ein paar Probleme. Es geht um die Stadt Hamburg, die als Alleingesellschafterin der Hamburger Airport GmbH das Gebiet des Flughafens vergrößern will, um das Land an Zulieferfirmen verkaufen oder verpachten zu können, die sich dort ansiedeln wollen. Es würden angeblich sehr viele neue Arbeitsplätze dadurch entstehen. Deshalb wird ein Gesetz erlassen, nach dem die betroffenen Flurstücke in das Eigentum der GmbH übergehen. Als Entschädigung sind entweder andere Grundstücke gedacht, oder Geld. Wenn die GmbH die Grundstücke nicht innerhalb von 5 Jahren verkaufen kann, kann der ursprüngliche Eigentümer Rückübereignung verlangen.
Eigentümer A will davon aber nichts wissen, bis er ein paar Tage nach dem Inkrafttreten des Gesetzes vom Grundbuchamt die Nachricht bekommt, sein Grundstück sei inzwischen von Amts wegen auf das Eigentum der Flughafen Airport umgeschrieben.
Mein Problem ist jetzt:1. Wendet sich A unter dem Prüfungspunkt "Beschwerdegegenstand" sowohl gegen das Gesetz und den Bescheid des Grundbuchamts, oder nur gegen das Gesetz?
2. Ist das eine Legal- oder eine Administrativenteignung?
Vielen Dank schon mal im Voraus!
 
Ohne den Fall näher zu kennen, würde ich sage, dass der Grundstücks-
eigentümer zunächst alle möglichen Mittel ausschöpfen muss,
um die Enteignung rückgängig zu machen. Folglich führt ihn
sein Weg zunächst vor die Verwaltungsgerichtsbarkeit ... Eventuell
eingebettet in §§ 1004, 906 BGB, wo Du dann Deine
Grundrechtsprüfung bringst.

Auf der anderen Seite - eben durch die Änderung der Ein-
tragungen im Grundbuch - kommt auch das Absehen vom Rechts-
weg nach § 90 Abs.2 BVerfGG vorliegend in Betracht. Würde
die GmbH nämlich das Grundstück verkaufen, wäre die sachen-
rechtliche Übereignung nämlich rechtens ... Damit dürfte auch
ne VB zulässig sein.

In jedem Fall wendet er sich sowohl gegen das Gesetz (dessen
formelle und materielle Verfassungsmäßigkeit Du zu prüfen
hast) als auch gegen den Bescheid vom Grundstücksamt (den
Eingriff) ...

"Wenn die GmbH die Grundstücke nicht innerhalb von 5 Jahren verkaufen kann, kann der ursprüngliche Eigentümer
Rückübereignung verlangen." ... Dies wäre bei mir der ent-
scheidende Satz. Es steht also kein konkretes staatliches
Bauprojekt an, für den das Grundstück gebraucht wird, son-
dern nur die Möglichkeit. Spätestens bei dem Punkt der
verfassungsrechtlichen Rechtfertigung (Punkt: Erforderlich-
keit / Angemessenheit) würde es bei mir scheitern. Außer-
dem wird das Grundstück nicht auf einen öffentlich recht-
lichen Träger sondern eine juristische Person des Privat-
rechts übertragen. ... Man kann mir auch nicht meinen Hund
wegnehmen, damit mein Nachbar damit schöne Welpen züchten
kann ... Jedenfalls merkwürdig!

Gruß

Sandra
 
Erst mal vielen Dank für die schnelle Antwort!🙂
Wenn er sich also sowohl gegen das Gesetz als auch den Bescheid wendet, ist das dann ne Legal- oder Administrativenteignung? Oder kann es eine Sozialisierung sein und wo ist der Unterschied?
Ich stell einfach mal den Fall rein,meine kurze Zusammenfassung war wahrscheinlich etwas unübersichtlich😱
1. Die Freie und Hansestadt Hamburg ist Alleingesellschafterin der Hamburg Airport GmbH. Diese betreibt den Hamburger Flughafen in Hamburg Fuhlsbüttel. Der Flughafen erfreut sich einer sehr hohen Belegung. Das führt dazu, daß eine erhebliche Nachfrage nach Grundstücken von Zulieferfirmen im Randbereich des Flughafengeländes entsteht. Dieser kann auf dem freien Grundstücksmarkt immer schwieriger befriedigt werden. Die gleichzeitige Entwicklung der Grundstückspreise im Einzugsbereich des Flughafens sieht der Senat der Freien und Hansestadt mit großer Sorge. Er befürchtet nämlich, daß die bislang zu beobachtende Investorenneigung den Flughafen-Standort Hamburg wählenden Firmen in angesichts kaum noch marktfähiger Grundstückspreise in nächster Zeit abnehmen wird, dies wiederum zu einer Verlagerung der vorhandenen Unternehmen in den Flughafen Hannover-Langenhagen führen und dies insgesamt zu einem Verlust an Arbeitsplätzen in der Hamburger Luftfahrtindustrie ergeben wird. Ein Marktgutachten, das der Senat erstellen ließ, bestätigt diese Befürchtungen. Die Stadt Langenhagen wirbt seit längerem um Ansiedlungen; sie hat inzwischen durch Bebauungspläne geeignete Gewerbeflächen ausgewiesen. Die niedersächsische Landesregierung – so hört man – betrachtet die Vorgehensweise der Stadt Langenhagen „mit Wohlgefallen“ und hat bereits ein Investitionsvolumen von 100 Mio € haushaltsmäßig bereitgestellt.

Der Senat der Hansestadt beschließt deshalb, politisch aktiv zu werden und im Hinblick auf die angestrebte Erweiterung des Luftfahrtstandorts Hamburg und zur Sicherung der bislang entstandenen Arbeitsplätze die Dinge nicht mehr dem freien Spiel der Kräfte zu überlassen. Auf seinen Vorschlag hin erläßt die Bürgerschaft das folgende Gesetz, das der Senat alsdann ordnungsgemäß verkündet:

Flughafen-Investitionsgesetz – FIG – vom 2. November 2005

§ 1 Die Festigung und Erweiterung des Standortes Flughafen Hamburg liegt im Gemeinwohl.

§ 2 Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes gehen die in der Anlage zu diesem Gesetz bezeichneten Grundstücke der Fl-Nr. … in das Eigentum der Hamburg Airport GmbH über.

§ 3 Die Hamburg Airport GmbH darf die nach § 2 dieses Gesetzes erworbenen Grundstücke an Dritte veräußern oder mittelfristig vermieten oder langfristig verpachten. Im Falle der Veräußerung bestimmt sie den Kaufpreis unter Berücksichtigung der Zielsetzung dieses Gesetzes. Ferner muß für den Fall der Weiterveräußerung eine Rückerwerbsoption zugunsten der Hamburg Airport GmbH vereinbart werden. Erbpacht ist ausgeschlossen.

§ 4 Die Eigentümer der in § 2 bezeichneten Grundstücke werden entschädigt. Entschädigungspflichtig ist die Freie und Hansestadt Hamburg. Sie soll nach Möglichkeit Ersatzgrundstücke aus dem Staatsbesitz zur Verfügung stellen. Ist dies nicht möglich oder wird ein entsprechendes Angebot abgelehnt, sind die Eigentümer in Geld zu entschädigen.

§ 5 Über die Höhe der Entschädigung entscheidet der Gutachterausschuß (§ 192 Bundesbaugesetz) weisungsfrei nach billigem Ermessen. Der Gutacherausschuß soll sich hierbei an den Verkehrswert ausrichten, der drei Jahre vor dem Inkrafttreten des Gesetzes bestand.

§ 6 Veräußert die Hamburg Airport GmbH ein nach § 2 dieses Gesetzes erfasste Grundstück nicht innerhalb der nächsten fünf Jahre nach Inkrafttreten dieses Gesetzes, kann der Eigentümer eine Rückenteignung verlangen. § 102 des Baugesetzbuches gilt entsprechend.

§ 7 Das Gesetz tritt am 15. November 2005 in Kraft.

In der Begründung seines Gesetzentwurfes vom 10. Oktober 2005 führt der Senat u.a. aus, daß mit dem Gesetzesvorhaben nach Berechnungen des Marktgutachtens vom August 2005 in den nächsten drei Jahren im Bereich der Hamburger Luftfahrtindustrie unmittelbar 400 Arbeitsplätze geschaffen werden. Mittelfristig führe dies durch zusätzlich zu erwartende subunternehmerische Tätigkeit mutmaßlich zu einem Arbeitsplatzvolumen von insgesamt 800 bis 1.000 Arbeitsplätzen im unmittelbaren Einzugsbereich Hamburgs. Auf jeden Fall müsse verhindert werden, daß durch eine zu befürchtende Verlagerung ein Verlust an Arbeitsplätzen eintrete. Eine nähere Darstellung dieses worst case scenario könne der Senat aus industriepolitischen Gründen nur mündlich und vertraulich in der Sitzung des zuständigen Bürgerschafts-Ausschusses geben. Es sei zwar auch möglich, im Verfahren der Bebauungsplanung nach § 85 ff. des Bundesbaugesetzbuches Enteignungsmaßnahmen vorzunehmen. Derartige Verfahren seien indes erfahrungsgemäß langwierig. Es müsse jetzt rasch gehandelt werden.

2. A ist Eigentümer eines nach § 2 FIG erfaßten Grundstücks. Er ist nicht bereit, sein Grundstück herzugeben. Er hat – so läßt er den Senat wissen - überhaupt nicht die Absicht, sein Grundstück zu veräußern. Für ihn träfe die Befürchtung des Senates, etwa „Wucherpreise“ zu nehmen, überhaupt nicht zu. Er verlange daher vom Senat, daß man ihn mit diesen gesetzgeberischen Mätzchen, wie er sich ausdrückt, nicht weiter belästige. Als A wenige Tage nach Inkrafttreten des Gesetzes vom Grundbuchamt die Nachricht bekommt, sein Grundstück sei inzwischen von Amts wegen auf das Eigentum der Flughafen Airport umgeschrieben, merkt A, daß die Sache ernst wird. Darauf geht A zum Rechtsanwalt Dr. D und fragt, was zu tun sei.

B ist ebenfalls Eigentümer eines nach § 2 FIG erfaßten Grundstücks. Er hat mit C bereits einen Kaufvertrag geschlossen. Nur die Eigentumsübertragung durch Eintragung in das Grundbuch ist noch nicht vollzogen worden. Die Auflassung sei allerdings bereits im notariellen Kaufvertrag erklärt worden. Durch die gesetzliche Enteignung könne er nunmehr seinen Kaufvertrag nicht mehr erfüllen. Der Käufer hat bereits massive Schadenersatzforderungen angekündigt, die dem B durchaus plausibel erscheinen. B hat daher ebenfalls Rechtsanwalt Dr. D aufgesucht und bittet ihn, die geeigneten gerichtlichen Schritte zu unternehmen.

Aufgabe: Rechtsanwalt Dr. D beauftragt die bei ihm hospitierende Jurastudentin S, für A und B die Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht zu prüfen. Ein von Rechtsanwalt Dr. D eingeholtes Marktgutachten von Januar 2006 ergibt, daß inzwischen keineswegs mehr so sicher sei, daß die im Gesetzesentwuf genannte Arbeitsplatzprognose eintreten werde.
 
Zu Administrativ- oder Legalenteignung habe ich bei
Hemmer etwas passendes gefunden:

"Gemäß Art. 14 Abs.3 Satz 2 GG kann eine Enteignung durch Gesetz
oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen. Im ersteren Fall wird
sie als "Legalenteignung" bezeichnet, während die Enteignung
der Verwaltung aufgrund eines Gesetzes Administrativenteignung
ist." (Hemmer "Die 32 wichtigsten Fälle für Anfangssemester
Staatsrecht", Seite 101 f)

In Deinem Hausarbeitsfall kommt also eine Legalenteignung in
Betracht, weil quasi per Gesetz das Eigentum an allen genannten Grundstücke
automatisch auf die GmbH übergeht.

"Anders als bei den Gesetzesvorbehalten anderer Grundrechte,
gilt bei der Enteignung ein grundsätzlicher Vorrang der Ad-
ministrativ- vor der Legalenteignung. Grund hierfür ist, dass
bei der Enteignung direkt durch Gesetz der Rechtsschutz des
Einzelnen verkürzt wird."

aha ... Klage vor dem Verwaltungsgericht nach §§ 1004, 906
BGB (bzw. Erwirken einer einstweiligen Verfügung, was dem
Betroffenen zumindest vorläufigen Rechtsschutz bietet) ist
also nicht möglich ... Ich nehme alles zurück !

"Gegen Verwaltungsentscheidungen steht gemäß Art. 19 Abs.4
GG stets der Rechtsweg offen, während gegen eine Enteignung
unmittelbar durch Gesetz die Verfassungsbeschwerde gegen
das Gesetz der einzig mögliche Rechtsbehelf ist (BVerfGE
95, 1, 22)."

Folglich musst Du in Deiner Hausarbeit nur die formelle
und materielle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes prüfen, auf
die materielle Verfassungsmäßigkeit des nicht existierenden
Einzelaktes musst Du demnach nicht eingehen.

"Daher bedarf es besondere Gründe, die die Nachteile einer
Legalenteignung im konkreten Fall rechtfertigen würden. Solche
können hier wiederum nur in der besonderen Dringlichkeit ge-
sehen werden. Diese - letzlich selbst durch den Staat her-
beigeführte - Eilbedürftigkeit genügt aber nicht, um eine
Verkürzung des Rechtsschutzes des Einzelnen zu rechtfertigen."

Damit dürfte die VB in Deiner Hausarbeit begründet sein,
weil der Rechtsschutz des Einzelnen nicht verkürzt werden
darf. Demnach hätte die Stadt eine Administrativenteignung
machen müssen ... Du hattest also Recht, dass die Unter-
scheidung zwischen Legal- und Administrativenteignung vor-
liegend der Knackpunkt ist.

Aufbauvorschlag:

A) ZULÄSSIGKEIT

I. Beschwerdeführer: A
II. Beschwerdegegenstand: Enteignung des Grundstücks gemäß § 2 FIG
III. Beschwerdebefugnis:
1.) Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung
-> A könnte in seinem Grundrecht auf Eigentum verletzt sein
2.) Betroffenheit
a) selbst (+)
b) unmittelbar (+)
c) gegenwärtig (+)
IV. Rechtswegserschöpfung / Subsidiarität
-> vorliegend Legalenteignung, damit bleibt nur VB als
einzig möglicher Rechtsbehelf
-> außerdem: § 90 Abs.2 BVerfGG einschlägig

V. Form (§ 23 BVerfGG)/ Frist (§ 93 Abs.3 BVerfGG)

-> VB ist zulässig

B) BEGRÜNDETHEIT

I. Schutzbereich (+)
Art. 14 GG
-> Eigentum: Jede durch das einfache Recht gewährte
konkrete vermögenswerte Rechtsposition

II. Eingriff (+)
-> Gesetzesvorbehalt, Art. 14 Abs.3 GG
-> Legalenteignung aufgrund eines Gesetzes

III. Verfassungsmäßige Rechtfertigung
1.) § 19 GG
a) Einzelfallgesetz (kritisch), Art. 19 I 1 GG
b) Wesensgarantie, Art. 19 II GG
c) Zitiergebot, Art. 19 I 2 GG
2.) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
a) legitimer Zweck (+)
Schaffung von Arbeitsplätzen
b) Geeignetheit (+)
c) Erforderlichkeit (-)
-> Administrativenteignung vorzugswürdig
d) Angemessenheit (-)
-> Verkauf bzw. Grundstücksverwertung nicht sicher
etc. Hier kannst Du schön diskutieren und Argumente
abwägen.
=> VB begründet

Ergebnis:

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet, damit
hat die Klage des A im vorliegenden Fall Aussicht auf Erfolg.

Beim B kannst Du die Sache dann genauso aufziehen, nur hier
hast Du aufgrund des drohenden Schadensersatzes stärkere
Argumente (A möchte ja eigentlich mit dem Grundstück nichts
richtiges anfangen, evtl. Klage auch unbegründet).

Ich hoffe, Dir damit geholfen zu haben.

Gruß


Sandra
 
ich schreibe ebenfalls diese Hausarbeit und mir ist der Unterschied zwischen A und B noch nicht ganz klar. Ist die Zulässigkeit bei beiden soweit gleich? Wenn ja ist doch alles bis zur Verhältnismäßigkeitsprüfung gleich oder nicht?
Vielen Dank schonmal im voraus!
 
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