Chriss,
deine ökonomische Analyse ist ja vollkommen richtig, nur ein Anbieter von Online Kursen (als „Einzelkämpfer“ oder mit minimalem Personal) kalkuliert nicht so.
Die Analyse-Tools, die uns in einem wirtschaftswissenschaftlichen Studium vermittelt werden, sind theoretischer Natur auf einem hohen Abstraktionsniveau. Und, die BWL, aber auch die VWL sind immer noch sehr auf eine Wirtschaft mit "materieller"- Produktion ausgerichtet, Dienstleistung (und Online-Kurs-Gestalten ist größtenteils zumindest eine solche) ist bislang noch sehr unterrepräsentiert.
Ein Dienstleister als "Einzelkämpfer" kalkuliert eben anders als der VW-Konzern, der ein neues Fahrzeug anbieten will. Ein Dienstleister, nehmen wir unseren Onlinekurs-Gestalter, kann sein Gehalt mit 10 Tsd. GE festsetzen, einen Firmenwagen aus Stuttgart-Zuffenhausen nutzen und mit einem super tollen Portalanbieter mit HD-fähigem Filmstudium zusammenarbeiten.
Wenn es nicht anders geht, kann er notfalls aber auch mit "knapp über Hartz IV" auskommen, eine bei der E-Bucht ersteigerte gebrauchte Kamera benutzen und den Kurs in seinem 20 qm - Appartement aufnehmen.
Inhaltlich, didaktisch usw. können beide Kurse gleich gut sein sprich für mich als "Haushalt" denselben "Nutzen" stiften. Wie groß sind den jetzt die Stückkosten für einen Kurs bzw. um mir den gewünschten Nutzen zu stiften?
Zu welchem Preis wird er diesen Kurs denn dann auf dem (recht kleinem) Markt anbieten? Konkurrenz gibt es ja quasi nicht (außer selber alte Klausuren rechnen).
Er wird wie viele andere Kleinunternehmer den Preis aus dem Bauch heraus mit "möglichst hoch" ansetzen, denn er will ja nicht von 360 GE im Monat leben, sondern doch von verständlicherweise gerne mehr.
Da macht er sich wenig Gedanken über Grenzerlöse, Grenzkosten usw., klar ist ihm nur, es gibt einen Maximalpreis, irgendwo, denn die nachfragenden „Haushalte“ haben Bammel vor der Makro-Klausur, sind meistens noch voll berufstätig oder „Familien-Manager“ und begrüßen es, wenn man komplexe Lehrinhalte mundgerecht serviert bekommt. Da greift die klassische Preistheorie nicht so ganz.
Auch Opportunitäts-Überlegungen spielen für unseren Kurs-Produzenten nur eine marginale Rolle: Er ist Fachmann für Didaktik und vermittelt Wissen an Wirtschafts-Studenten, das ist das, was er kann und mag, er hat sich vor Jahren dafür entschieden.
Für ihn entscheidend ist nur, ob er lieber Lehrfibeln verlegt, Kurse im R hoch 3 (Seminarraum) oder im R hoch 2 (Bildschirm) gibt oder alles zusammen. Im vieleicht geerbten 20 qm – Appartement mit gebrauchter Kamera werden halt zwecks Produktion der Dienstleistung „Durch-die-Makro-Klausur-bringen“ keine enormen Investitionen getätigt. Andere Opportunitäts-Analysen kann er mangels Alternativen sinnvoll gar nicht betreiben, z.B. eine Umorientierung am Arbeitsmarkt wäre schwierig (hier spielen ja nicht nur ökonomische Faktoren eine Rolle) und große Volumina an Finanzmitteln bewegt er wie gesagt eben nicht . Er setzt hauptsächlich seine Arbeit ein.
Also, zusammenfassend gesagt, bei manchen ökonomischen Sachverhalten greifen bestimmte ökonomische Theorien nicht. Diese Theorien sind eben nur Modelle (genau so wie mein Online-Kursmacher ein Modell ist) und modellieren eben nur bestimmte Sachverhalte der Realität.
Ebenfalls liebe Grüße
Martin