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Richterrecht ist k eine Rechtsquelle?

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Richterrecht ist (k)eine Rechtsquelle?

Hallo Gemeinde,

im Propädeutikum habe ich gelernt, dass Richterrecht keine Rechtsquelle des Privatrechts ist (KE 1 Seite 10), in der Modulbeschreibung zu BGB I steht das Gegenteil:

"...Das Prinzip der Privatautonomie wird erklärt, die Bedeutung von Grundrechten und schließlich auch die Bedeutung von Gesetz und Richterrecht als wesentliche Rechtsquellen des Privatrechts..."

https://www.fernuni-hagen.de/rewi/studium/bachelor/55101.shtml

Ich behaupte nicht, dass ich verwirrt bin, denn als Propädeutikumianer weiss ich natürlich, dass Richterrecht keine Rechtsquelle ist. Ich Frage mich nur, warum das in der BGB I Modulbeschreibung behauptet wird. Vielleicht nur mangelnde Sorgfalt im Umgang mit dem Wort (Rechtsquelle) oder manifestiert/relativiert sich diese Aussage im Skript durch vertiefende Betrachtung?

Auch wenn die Rechtswissenschaft keine exakte Wissenschaft ist, sollte die Aussage "A stimmt und ihre Negation auch!" immer falsch sein und nie richtig, erst Recht im Sinne einer konsistenten/einheitlichen Linie innerhalb einer rechtswissenschaftlichen Fakultät.

Meint Ihr nicht auch?

Liebe Grüße
 
Ich behaupte nicht, dass ich verwirrt bin, denn als Propädeutikumianer weiss ich natürlich, dass Richterrecht keine Rechtsquelle ist.

Hallo Chrissi,

Bist Du Dir da so sicher?

"Richterrecht bezeichnet alle Entscheidungsnormen (Wertmaßstäbe), die ohne wertende, gebotsbildende Akte des Richters dem Gesetz nicht entnommen werden können. Damit sind die Gerichtsurteile der Bundesgerichte gemeint, die im so genannten "Lückenbereich" ergehen oder gar vom Gesetz abweichenden. Zum Lückenbereich gehören gerichtliche Entscheidungen, die im gesetzlich nicht geregelten Bereichen gefällt werden. Dazu gehören auch die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe und Generalklauseln sowie die Auslegung von gesetzlichen Begriffen und Vorschriften unter Heranziehung von Zwecken, welche die Gerichte selbst bestimmt haben." (Rüthers, Rechtstheorie, 3. Auflage 2007, Seite 153f).

So füllen beispielsweise höchstrichterliche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Grundgesetz nicht definierte Bereiche aus. Dies erfolgt m.E. zwingend aus der Abstraktheit unserer Rechtsordnung. In älteren Rechtsordnungen wie beispielsweise dem preußischen allgemeinen Landrecht wurde versucht, jede Eventualitäten durch einen separaten Paragraphen zu regeln, um den Richtern überhaupt keinen Spielraum zur Rechtsfortbildung zu geben.

Sicherlich herrscht Streit um die Qualität der Rechtsquelle "Richterrecht".

Zum Vergleich auch BVerfGE 34, 269, 287, hier hat das Bundesverfassungsgericht in einem Grundsatzurteil die richterliche Rechtsfortbildung beschrieben und für zulässig erachtet.

Beispielhaft möchte ich hier noch das Mietrechts nennen und hier insbesondere die Rechtsprechung des VIII. Zivilsenates zu den Schönheitsreparaturen. Hier werden abstrakte Regelungen des Gesetzes durch höchstrichterliche Entscheidung konkretisiert und dienen damit dem Rechtsanwender der Kautelarpraxis als Orientierungshilfe.

Dieses praktischer Beispiele zeigt meines Erachtens deutlich, dass es sich bei Richterrecht um Rechtsquellen handelt.

Hinsichtlich einer fakultätübergreifenden Einheitlichkeit, sollten solche Widersprüche natürlich entweder nicht vorkommen oder zumindestens mit Rekurs auf rechtstheoretische Ansätze ausgeräumt werden.

Frohes Schaffen!
 
Bist Du Dir da so sicher?

Das Propädeutikum ist da eindeutig und thematisiert auch die verfassungsrechtliche Problematik der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung ("contra legem") aus der eine Rechtsquelleneigenschaft abgeleitet werden könnte.

Eine Diskussion welche Aussage nun stimmt oder mehr stimmt möchte ich in diesem Beitrag nicht vom Zaun brechen. Die Auffassungen in der Lehre gehen da auseinander. Mich wundert nur die diametrale Darstellung in zwei Anfängermodulen (Propädeutkum / BGB I) desselben Studiengangs an derselben Fakultät.

Nun vielleicht doch mein Verständnis dazu:

Rechtsfortbildung als solche ist natürlich Verfassungsauftrag. Gesetzesimmanente Rechtsfortbildung durch Analogie oder teleologische Reduktion sind definitiv keine Rechtsquelle (und 100% Verfassungsauftrag), im Gegenteil, in diesen Fällen verwendet der Richter das Gesetz als Rechtsquelle (Rechtsfortbildung im Geiste des Gesetzgebers).

Allerdings bilden höchstrichterliche Urteile, bei deren Bildung gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung betrieben wird und "contra legem" Entscheidungen getroffen werden Zündstoff, ob das verfassungsgemäß ist (denn Richter sollten Recht sprechen und nicht sezten). Hier ist die dem Richter zugeschriebene Eigenschaft Rechtsquelle zu sein, sehr fraglich: "Darf der Richter nach Grundgesetz Rechtsquelle sein?" Die Antwort ist eindeutig und deshalb ist "contra legem" auch sparsam einzusetzen.

Unabhängig davon sind die übergroße Anzahl der Richterurteile Entscheidungen über konkrete Sachverhalte, d.h. die übergroße Mehrzahl der Richter arbeitet stets im "Einzelfallmodus" ohne das seine Entscheidung Ausstrahlung auf die Allgemeinheit hat (dass diese Urteile keine Rechtsquelle darstellen behauptet auch keiner - nehme ich mal an).

Aber selbst die höchstrichterlichen Entscheidungen haben keine "Bindungswirkung" für die unteren Gerichte, wenngleich dort sicherlich oft entsprechend der höchstrichterlichen Urteile entschieden wird, geschieht das ohne Zwang.

Die Eigenschaft des (obersten) Richters Rechtsquelle zu sein oder nicht, ist vielleicht Audruck des Unterschieds zwischen Verfassung und Verfassungswirklichkeit. Also ich meine: "Richterrecht ist keine Rechtsquelle (bis auf Ausnahmen, die immer eine Gratwanderung auf dem Grundgesetz sind)."

Liebe Grüße
 
In älteren Rechtsordnungen wie beispielsweise dem preußischen allgemeinen Landrecht wurde versucht, jede Eventualitäten durch einen separaten Paragraphen zu regeln, um den Richtern überhaupt keinen Spielraum zur Rechtsfortbildung zu geben.

Heute hat der Richter mit Auslegung, der Rechtsquelle "Gewohnheitsrecht" und der Rechtsfortbildung innerhalb des Gesetzes (Analogie, teleologische Reduktion) einen beabsichtigten Spielraum, ohne dass er in Gefahr gerät, sich dadurch selbst die Rechtsquelleneigenschaft anzumaßen.

Liebe Grüße
 
Was die Diametralität der Aussagen der FU betrifft, bin ich mit Deiner Meinung völlig konform.

Hinsichtlich der Rechtsquellenqualität nicht. "Zwei Juristen - Drei Meinungen".

Von der berufspraktischen Seite her musste ich erfahren, dass sich die Instanzengerichten schon am sog. "obiter dictum" orientieren, da der Normgeber nicht alle Eventualitäten beachten kann oder will (oder einfach dazu nicht in der Lage ist).

Natürlich sollen dabei verfassungsrechtliche Grundsätze beachtet werden. Rechtsprechung muss nicht zwangsläufig contra legem sein und selbst wenn, sind die richterliche Rechtsauslegung machnmal treffsicherer als die gesetzgeberische Intention (aber manchmal auch nicht).

Ja, man kann sich trefflich streiten.🙂

BYE
 
Natürlich sollen dabei verfassungsrechtliche Grundsätze beachtet werden. Rechtsprechung muss nicht zwangsläufig contra legem sein

Hier kommen wir zu der Frage, wann ist eine Quelle eigentlich eine Rechtsquelle? Vielleicht gehen bei dem Begriffsverständnis schon die Meinungen auseinander.

Mein bescheidenes Verständnis ist, dass Rechtsprechung, die nicht "contra legem" oder gesetzesübersteigend ist (also Auslegung
[*], Analogieschluss, tel. Reduktion) keinesfalls eine Rechtsquelle darstellt, da der Richter sich in diesem Fall "innerhalb des Gesetzes" bewegt, quasi "der verlängerte Arm" des Gesetzgebers ist, d.h. sich selber nur der Rechtsquelle "Gesetz" bedient und an solchen Stellen Lücken schliesst, wo es nötig ist, aber immer im Sinne des Gesetzes und des Gesetzgebers. Der Richter stellt in diesen Fällen also selber keine eigene Rechtsquelle dar (man könnte sagen er arbeitet an der Rechtsquelle "Gesetz" im Auftrag und mit der Intention des Gesetzgebers).

Erst bei gesetzesübersteigender oder gar gesetzeswidersprechender ("contra legem") Rechtsprechung (nur ein kleiner Bruchteil aller Urteile), bewegt sich der Richter über "den Geiste des Gesetzes" hinaus und könnte damit neues Recht setzen. Hier ist dann die Frage, ob das dann Rechtsquellenqualität hat, wenn dieser Weg in einem neuen Verfahren nicht einmal beschritten werden muss (nur kann, auch wenn das häufig passiert), dieses neue Recht also nicht zwingend angewendet werden muss. Ausserdem stellt sich die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit (da habe ich gar keine Antwort, mir scheint es problematisch, allerdings könnte das Rechtsprechungsverweigerungsverbot, mit dem sich der Richter konfrontiert sieht, argumentativ helfen).

Weil nach diesem (meinem) Verständnis, mehr als 99,9% der Rechtssprechung definitiv keine Rechtsquelle darstellt, halte ich die Aussage der BGB I Modulbeschreibung, das Richterrecht sei wesentliche Rechtsquelle für das Privatrecht, mindestens für sehr überhöht.

Ich hielte für Lehrmaterial eine neutrale Position mit Erörterung der Problematik von beiden Seiten (Rechtsquelle vs keine Rechtsquelle) ohne Festlegung für angemessener. Ich kann mir vorstellen, dass dieses Problem in einem Modul zur Rechtsmethodenlehre, eingehender behandelt wird.

Liebe Grüße
Chrissi
...
...
*: Gesetzesauslegung ist nicht einmal Rechtsfortbildung und deshalb schon keine Rechtsquelle
 
was wenn nicht Rechtsquelle, soll Rechtsprechung denn sein? Die von Dir angesprochenen Auslegungskanones beschreiben lediglich die Art und Weise wie eine Norm angewendet werden kann.

Der Prozess und das daran anschließende Urteil als solches stellen ja das Ergebnis des Rechtsfindungsvorganges dar. Soweit das Urteil hier eine Konkretisierung der abstrakten Norm vornimmt (wie es in Mietrecht bei den Reparaturklauseln der Fall ist) stellt dies für die Praxis eine Rechtsfortbildung dar.

Wenn nämlich der Bundesgerichtshof eine Formularklausel für unzulässig erklärt, sind somit sämtliche Verträge, die eine solche Klausel umfassen ebenfalls mit einem Makel behaftet. In diesen Fällen kann sich dann der Mieter auf die Rechtswidrigkeit dieser Klausel, soweit sie sich in seinem Mietvertrag befindet, berufen. Das Urteil stellt somit eine Rechtsquelle dar.

Dies gilt teilweise schon für die Instanzrechtsprechung.

Aus Urteilen erwächst demnach richterliche Rechtsfortbildung.

Dieses gängige Beispiel aus der Praxis soll Dir verdeutlichen, weshalb Richterrecht dennoch, allem dogmatischen Streit zum Trotz, als Rechtsquelle anzusehen ist.

Es tut mir leid dass meine Antwort wenig dogmatisch begründet ist, denn ich bin eher pragmatisch veranlagt und sehe in meiner täglichen Praxis die Auswirkungen richterlicher Rechtsfortbildung.
 
was wenn nicht Rechtsquelle, soll Rechtsprechung denn sein?

In erster Linie (und in den allermeisten Fällen) ist Rechtsprechung doch Rechtsanwendung, d.h. der Richter schöpft aus den Rechtsquellen (Nationales Recht, Europarecht, Gewohnheitsrecht), um Recht auf Sachverhalte anzuwenden. Bei dieser Rechtsanwendung entsteht kein neues Recht, denn es wird vorhandenes Recht nur angewendet. Rechtsanwendung ist also keine Quelle (der Entstehung) für neues Recht.

Die Rechtsfortbildung durch den Richter ist, solange sie gesetzesimmanent ist, m.E. auch keine Rechtsquelle. Siehe oben "Richter ist nur der verlängerte Arm des Gesetzgebers", man könnte etwas lax auch sagen "Der Richter vertritt die Interessen des Gesetzgebers (Gesetz) und anderer Rechtsquellen", d.h. der Richter begründet bei gesetzesimmanenter Rechtsprechung keine neue, eigene Rechtsquelle, sondern "verteidigt" nur die Bestehenden.

Erst bei gesetzesübersteigender Rechtsfortbildung wird es interessant, aber diese Rechtsprechung ist doch nur selten anzutreffen, im Vergleich zu den vielen Urteile, die "nur" Sachverhalte unter die vorhandenen Rechtsquellen subsumieren (mit oder ohne Auslegung) oder die noch einen schönen, passenden und praktischen Balkon an das vorhandene Gesetz mauern (durch gesetzesimmanente Rechtsfortbildung, z.B. Analogie) und kein neues Recht schaffen.

So ist zumindest mein Verständnis von Rechtsquelle

Liebe Grüße
 
Wenn nämlich der Bundesgerichtshof eine Formularklausel für unzulässig erklärt, sind somit sämtliche Verträge, die eine solche Klausel umfassen ebenfalls mit einem Makel behaftet. In diesen Fällen kann sich dann der Mieter auf die Rechtswidrigkeit dieser Klausel, soweit sie sich in seinem Mietvertrag befindet, berufen. Das Urteil stellt somit eine Rechtsquelle dar.

Aber Rechtsquelle ist das nur, wenn das Urteil nicht "im Sinne des Gesetzes" ist oder das Urteil nicht vollständig mit den Gesetzen oder anderen Rechtsquellen zu begründen ist.

Sollte es im Sinne des Gesetzes sein, dann ist das Gesetz die Rechtsquelle und der Richter lediglich "Anwender" (z.B. bei Auslegung des Gesetzes) oder "Arbeiter" an dieser schon vorhandenen Quelle, um sie gesetzesgerecht (quellengerecht) zu erweitern (durch gesetzesimmanente Rechtsfortbildung), eine neue Quelle wird dadurch nicht geschaffen.

Also ich denke die Bedeutung des Begriffs der Rechtsquelle ist hier wichtig. "Normale" Rechtsanwendung und -fortbildung im Rahmen des Gesetzes schafft keine neue Quelle, sondern bedient sich oder arbeitet an einer Bestehenden, durch Anwendung oder Beseitigung von Unklarheiten, jeweils im Sinne des Gesetzes (Unklarheiten gibt es, da der Gesetzgeber nicht alles regeln kann und will und deshalb dem Richter die Aufgabe anvertraut ist, im Sinne des Gesetzgebers Fragen, im Rahmen der Rechtsquelle "Gesetz", zu beantworten).

Nur bei gesetzesübersteigenden Entscheidungen löst sich der Richter vom Kittel des Gesetzgebers und diese könnten Rechtsquellenformat haben und sind in diesem Moment zugleich verfassungsrechtlich fragwürdig, weil die Rechtsetzung nicht Aufgabe des Richters ist.

Liebe Grüße
 
....... weil die Rechtsetzung nicht Aufgabe des Richters ist.

Es sei denn der Richter ist beim ArbG, LAG, BAG beschäftigt. Denn hier regelt der Gesetzgeber so gut wie nichts. Ohne die richterliche Rechtsfortbildung in diesem Bereich gäbe es fast kein kollektives Arbeitsrecht und nur wenig individuelles Arbeistrecht.

Hier will der Gesetzgeber gar nicht regelnd eingreifen.
 
Ihr führt hier eine Diskussion, die einen klassischen Meinungsstreit darstellt. Schade ist nur, dass im Propädeutikum wohl die Meinung, dass Richterrecht keine Rechtsquelle sei, absolut dargestellt wird und nicht darauf hingewiesen wird, dass es eben auch eine ganz breite andere Meinung gibt.

Von daher ist es doch völlig OK, dass auch hier im Forum beide Meinungen vertreten werden.
Wenn die Frage in einer Klausur gestellt würde, die nicht als MC sondern als Text zu beantworten wäre, würde ich das als Meinungsstreit diskutieren.

Die bisher schon aufgeführten Beispiele lassen sich übrigens noch um viele Fragen und Entscheidungen aus dem IPR und dem Europarecht erweitern.

Gruß

Claudia
 
Es sei denn der Richter ist beim ArbG, LAG, BAG beschäftigt. Denn hier regelt der Gesetzgeber so gut wie nichts. Ohne die richterliche Rechtsfortbildung in diesem Bereich gäbe es fast kein kollektives Arbeitsrecht und nur wenig individuelles Arbeistrecht.

Hier will der Gesetzgeber gar nicht regelnd eingreifen.

Ob Rechtsfortbildung neues Recht setzt, wird durch die Frage beantwortet, ob die Rechtsfortbildung gesetzesimmanent oder gesetzesübergreifend ist (nicht wahr?)

Bei gesetzesimmanenter Rechtsfortbildung (z.B. Analogie) wird das vorhandene Recht nur im bestehenden Sinne fortgeführt (z.B. Anforderung an die Analogie: sie schliesst nur eine planwidrige Lücke und muss zur Interessenlage der Norm passen, d.h. die Analogie geschieht in Einklang mit der Norm) und kann m.E. (ich wiederhole mich, sorry) nicht als Rechtsquelle verstanden werden.

Bei der gesetzesübersteigenden oder contra legem Rechtsfortbildung ist der Richter selber Normsetzer weil er das Gesetz bei der Urteilsfindung "überwindet", das könnte eine Rechtsquelle sein (hat allerdings doch nur eine Verbindlichkeit "durch Praxis" und nicht "durch Gesetz"), aber das ist kaum vereinbar mit dem Grundgesetz (vor allem nicht, wenn das im großen Stil passiert)? Richter sind ja nicht als Ersatzgesetzgeber gedacht. Deshalb ist mein Verständnis, dass die gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung nur in seltenen Fällen (von den obersten Gerichten) angewendet wird (werden sollte), eine Statistik darüber habe ich allerdings nicht.

Liebe Grüße
 
Wie Claudia anmerkte, handelt es sich um einen Streit. Den könnte man hier auch endlos führen.

Natrürlich sind Richter, obwohl es die Verfassung anders sehen mag, Ersatzegsetzgeber. So wird das Bundesverfassungsgericht oftmals bezeichnet. Das ist eben eine Durchbrechung unseres Gewaltenteilungsprinzips.
Da ich an Deiner Belegung sehen Chrissi, hattest Du noch nicht Verfassungsrecht, oder?

Eine weitere Durchbrechung des Gewaltenteilungsprinzips findet ja auch in der Politik statt. Der Bundeskanzler ist "Chef" des Kabinetts, also eines Exekutivorgans, als Mitglied des Bundestages ist er aber Teil der Legislative. Gleiches findet auf kommunaler Ebene statt, wenn Richter oder Beamte Mitglieder der Kreistage oder Stadtparlamente sind.

Mit absoluter und stringenter Dogmatik lassen sich nicht immer alle Vorgänge begreifen.

BYE
 
Ja das nennt man wohl Verfassungswirklichkeit (wie oben schon mit dem Rechtsprechungsverweigerungsverbot motiviert).

Das BVergG gibt dem Ersatzgesetzgeber (also auch sich selber) auf den Weg, dass bei der Lösung eines Rechtsproblems über die Normgrenzen hinaus, die richterliche Entscheidung sich von Willkür freizuhalten und die Lücke nach den Maßstäben der praktischen Vernunft und den "fundierten allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft" zu schließen hat ("Soraya-Entscheidung").

Die Frage ist nur, ob sowas nur Ausnahmefälle sind (hoffentlich) und ob wegen dieser Möglichkeit gleich das ganze Richterrecht / die ganze Rechtsprechung als Rechtsquelle bezeichnet werden kann. Das scheint mir nicht naheliegend zu sein, denn die allermeisten Urteile entstehen per "einfacher" Rechtsanwendung und dienen sicher nicht als Rechtsquelle.

Liebe Grüße
 
Natrürlich sind Richter, obwohl es die Verfassung anders sehen mag, Ersatzegsetzgeber. So wird das Bundesverfassungsgericht oftmals bezeichnet.

Die Frage ist, bei welchen Entscheidungen diese eingängige Bezeichnung wirklich gerechtfertigt ist oder das Bundesverfassungsgericht in der Vielzahl ihrer Entscheidungen nicht dem Verfassungsauftrag gemäß einfach das Grundgesetz als Rechtsquelle anwendet/auslegt/immanent weiterentwickelt, also in diesen Fällen kein Ersatzgesetzgeber im Sinne einer Rechtsquelle ist.

Auswirkungen auf Gesetze hat das BverfG öfters, aber in dem durch das Grundgesetz vorgesehenen Sinne, dass der Gesetzgeber einen Auftrag erhält, ein Gesetz zu ändern (Kontrolle der Legislative). Der Gesetzgeber erledigt dann die Rechtsetzung, nicht das BVerfG. Bei vom BVerfG veranlassten Gesetzesänderungen, führt der Gesetzgeber die Gesetzesänderung aus, auf einer Grundlage/Vorgabe vom BVerfG, die Verfassungsmäßigkeit sicherstellt. Das ein Gesetz nicht der Verfassung entspricht, wird vom BVerfG regelmäßig nur festgestellt, die Ursache für den Konflikt mit der Verfassung (nämlich das Grundgesetz selber) kommt ebenfalls vom Gesetzgeber. Das BVerfG hat in diesem Sinne oft lediglich eine Bewertungs- (Kontroll-) und keine Gesetzgebungsfunktion.

Liebe Grüße
 
Dr Franke Ghostwriter
Gemeinde, Hi Chrissi,

zur allgemeinen Bewusstseinserweiterung empfehle ich das Buch: Rüthers, Rechtstheorie. Dort ist der Streit um die Rechtsquellenqualität von Richterrecht sehr schön dargestellt.

M.E. dreht sich die Diskussion hier im Kreis. In der Kautelarpraxis ist allgemein anerkannt, dass vor allem obiter dicti als Rechtsquelle anzusehen sind, um die Einheitlichkeit der Rechtsprechung und zu gewährleisten.

Staat und damit Recht befinden sich im steten Wandel, so dass die Grenzen des Rechtsstaates immer wieder neu ausgelotet werden. Daher ist es konsequent, Richterrecht als Rechtsquelle zu begreifen.

Lieber Chrissi! Der von Dir hier eingebrachte Interpretationsansatz ist theoretisch nicht zu beanstanden. Als anwendungsorientierte Wissenschaft stoßen theoretische Denkansätze allerdings an Ihre Grenzen. Zu Beginn meiner juristischen Laufbahn habe ich genauso nach Ursache und Wirkung gesucht und in diesen Kategoren gedacht.

Die Praxis lehrt aufgrund ihrer Erfordernisse das Gegenteil.
 
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