Oezlem,
ich war mal Rechtspfleger ( bin inzwischen in einer anderen Laufbahn in der Justiz tätig).
Die Frage nach dem "Warum" ist nicht so einfach zu beantworten. Ich haben mich für dieses Semster zum ersten Mal für den BOL eingeschrieben.
Grundsätzlich ist es so, dass der Job als Rechtspfleger recht interessant und vielseitig ist, wenn man bereit ist, auch mal die Stelle zu wechseln. Klar - Routine gibt es überall.
Wenn mich heute ein Abiturient fragen würde: "Soll ich Rechtspfleger machen" würde ich ihm wahrscheinlich abraten, und zwar aus folgenden Gründen:
- Für den Rechtspflegerberuf spricht zwar der Beamtenstatus, und damit ein sicherer Arbeitsplatz. Das ist aber so ziemlich das Einzige, was für diesen Job spricht.
Gegen ein Studium an der FH für Rechtpflege spricht folgendes:
- Im Vergleich zu den Studienmaterialien an der FU Hagen sind die Materialien an der FH in Schwetzingen geradezu stümperhaft. Es wird möglichst viel Stoff in möglichst kurzer Zeit reingepresst. Wie du damit zurecht kommst ist weitestgehend dir überlassen. Da du aber bereits im Studium Beamter auf Widerruf bist, bist du zur Anwesenheit in den Vorlesungen verpflichtet, auch wenn der Dozent noch so schlecht ist und du lieber ein Buch zum selben Thema durcharbeiten würdest.
- Mit der Übernahme der Absolventen sah es in den letzten Jahren nicht so rosig aus. Wenn du nicht ein Super Examen hast, stehst du einfach auf der Strasse. Und das Diplom (FH) ist in der Wirtschaft in keiner Weise anerkannt. Ist ja auch logisch - denn du bist ja für die Justiz ausgebildet und nicht für die Wirtschaft. Wenn du Glück hast bekommst du dann ´nen Job bei einer Bank oder Versicherung.
- Selbst wenn du dann übernommen wirst, stehen die Karrierechancen schlecht. Ein Aufstieg in den höheren Dienst ist in der Regel nicht möglich
( wegen des Richtergesetzes. Einzige Ausnahme: In der Justizverwaltung). Die Bezahlung im Eingangsamt (A9) ist vergleichsweise lausig, und wenn du nicht gerade eine Funktionsstelle hast, ist bei A11 Schluss. ( Ein Sprichwort sagt: Der Mantel des öffentlichen Dienstes ist warm aber eng).
- Nicht zuletzt muss man sagen, dass die Rechtspflegerlaufbahn in den letzten Jahren zunehmend demontiert wurde. Bestimmte Aufgaben wurden auf den mittleren Dienst ( z.B. Strafvollstreckung) oder auf Gerichtsvollzieher ( z.B. Pfändung von Forderungen) übertragen. Die interessanten Tätigkeiten werden immer weniger
- Die Arbeitsbelastung ist im Gegenzug enorm hoch und steht in keinem Verhältnis zur Bezahlung. Speziell in Baden-Württemberg spart man den öffentlichen Dienst förmlich kaputt.
Da stellt man sich als Rechtspfleger schon mal die Frage, ob man mit seiner Berufswahl alles richtig gemacht hat.
(Ich glaube, ich habe mir gerade des Frust der letzten 20 Jahre von der Seele geschrieben. Aber das musste einfach mal sein). :wut:
Also: Warum studiert ein Rechtspfleger nebenbei BOL ? Vielleicht weil er sich sagt: das hätte ich schon längst tun sollen, aber das gab´s damals noch nicht.
Ein Punkt scheint mir besonders wichtig:
Wenn du in der Rechtspflegerprüfung im unteren Mittelfeld liegst ( und da liegen sehr viele) hast du kaum eine Chance auf Übernahme. Dann bist du nach 3 Jahren so weit wie vorher. Und die FU erkennt dir aus dem Rechtspflegerstudium nur das Propädeutikum und BGB I an. Der Bologna-Prozess ist an der FH für Rechtspflege halt spurlos vorübergegangen.
Ich hoffe ich konnte dir ein wenig weiterhelfen.