Fall zur Verwirkung des Widerspruchsrechts beim Betriebsübergang

Dr Franke Ghostwriter
Ein lustig komplizierter - vielleicht klausurrelevanter - Fall, der SV stammt aus einem aktuellen Gerichtsurteil:


AN war seit 1979 als Schlachter im Schlachthof der Stadt C tätig. Nach der Wende wurde die F-GmbH Arbeitgeber, wobei die Stadt C Gesellschafterin der GmbH war. Die F-GmbH schloß am 18.9.1996 mit AG einen schriftlichen Werkvertrag, in dem dieser sich zur Ausführung von Schlachtarbeiten verpflichtete, wobei die wesentlichen Betriebsmittel wie Gebäude und Maschinen im Eigentum der GmbH verbleiben und dem AG deren alleinige Nutzung obliegen sollte. AG beschäftigte und bezahlte zur Erfüllung seiner Schlachtwerke auch AN seit dem 1.2.1996 als Schlachter. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag wurde nie geschlossen. Zwischen der F-GmbH und AG regelt ein undatierter Vertrag, daß AN von AG zum 1.2.1996 "aufgrund eines Betriebsübergangs übernommen" und gleichzeitig das Arbeitsverhältnis F-GmbH-AN "zum 31.1.1996 aufgelöst werden soll". 1997 erwarb dann die G-GmbH die Gesellschaftsanteile der Stadt C und ist seither Eigentümerin des Anlagevermögens. Den Vertrag mit AG führte auch die G-GmbH unverändert weiter.

Am 18.6.2004 kündigte die G-GmbH den Werkvertrag mit AG zum 31.12.2004. Die Schlachtarbeiten wurden ab dem 1.1.2005 an die E übertragen, eine GmbH nach slowakischem Recht, die die Schlachtarbeiten ab Januar 2005 von billigen slowakischen Schlachtern ausführen wollte. Sie tat dies auch und verwehrte den "alten" Schlachtern des AG ab Januar den Zutritt zum Schlachthof.

Erst am 30.12.2004 teilte AG dem AN schriftlich mit, daß sein Arbeitsverhältnis mit allen Rechten und Pflichten zum 1.1.2005 auf die E-GmbH überginge.

Bereits am 2.1.2005 versucht AN, im Schlachthof für die E-GmbH zu arbeiten, wird von dieser aber abgewiesen. Daraufhin läßt AN dem AG anwaltlich mitteilen, er wolle wieder für ihn arbeiten, gehe aber davon aus, daß AG das Angebot ablehne, wenn er nicht bis 18.1.2005 antworte.

Am 22.2.2005 erscheinen AG und AN zum Gütetermin. Der Anwalt des AN erklärt dort, es sei kein Widerspruch gegen einen Betriebsübergang erfolgt, weil davon ausgegangen worden sei, daß überhaupt kein Betriebsübergang vorliege. AG käme gar keine Arbeitgebereigenschaft zu, da dieser lediglich den AN als Leiharbeitnehmer an die G-GmbH ausgeliehen hätte. Das Recht, dem AN Weisungen zu erteilen, habe bei der G-GmbH gelegen. Bei dem Werkvertrag sei es nur um das Zurverfügungstellen menschlicher Arbeitskraft gegangen. Es könne gar kein Betriebsübergang vorliegen, da schon keine Maschinen von AG an die E-GmbH verkauft worden seien, da diese ja Eigentum der G-GmbH gewesen seien. AG müsse daher den AN weiter beschäftigen und auch für die Zeit des Annahmeverzugs entlohnen.

Nachdem die Berufungsinstanz einen Betriebsübergang auf die E-GmbH festgestellt hatte, widersprach AN am 4.5.2006 doch noch "vorsorglich" einem Betriebsübergang und begründet die Verspätung damit, er sei bisher nicht ordnungsgemäß über die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Betriebsübergangs aufgeklärt worden.

AN fordert in mittlerweilse letzter Instanz nun Lohn für Januar bis Juli 2005 von AG. Zu Recht ?
 
Damit klarer wird, worum es schwerpunktmäßig auch geht, ein insofern ähnlicher Fall:

Die Arbeitnehmerin ist als Sicherheitsbeauftragte bei dem Sicherheitsunternehmen A tätig. Dieses ist vom Bundesministerium des Innern (BMI) beauftragt, mit Geräten des BMI Personen und Gepäck am Flughafen K zu kontrollieren. Das BMI kündigt den Auftrag zum 31. 12. 2003 und beauftragt nach einer Neuausschreibung das Sicherheitsunternehmen B. Dieses setzt die Kontrollen am 1. 1. 2004 mit denselben Geräten fort und stellt den Großteil der Beschäftigten von A - unter anderem die Arbeitnehmerin - zu geringeren Löhnen neu ein. A hatte zuvor allen Arbeitnehmern betriebsbedingt zum 31. 12. 2003 gekündigt. Die Arbeitnehmerin hält die Kündigung auf Grund eines Betriebsübergangs für unwirksam und macht ihre Vergütungsdifferenz geltend. A und B bestreiten einen Betriebsübergang.
 
Vorüberlegungen zum "Fall des Schlachthofs":

Wären Betriebsmittel und Arbeitnehmer alle "in einer Hand", wären also die AN von der Betriebsmitteleigentümer-GmbH direkt beschäftigt und der gesamte Laden samt Gebäuden und Maschinen verkauft worden, dann wäre der Fall einfach. Es läge ein Betriebsübergang vor, die slowakische GmbH müßte die AN weiter beschäftigen, da sie voll von der Rechtsfolge des § 613a BGB getroffen würde, daß die bestehenden Arbeitsverhältnisse des Veräußerers auf den Erwerber übergehen.

Gleich schließt sich daran die Frage an, ob die im Fall vorliegende betriebswirtschaftlich motivierte Trennung von Betriebsmittel- und Betriebsgesellschaft für die Anwendung des arbeitnehmerschützenden § 613a BGB einen Unterschied machen darf.

Hier macht aber (komischerweise) der AN selbst geltend, er wolle vom § 613a, der eigentlich seinem Schutz dienen soll, nichts wissen. Er möchte statt dessen von seinem alten AG weiter beschäftigt werden, wohlwissend, daß dieser gar keine Arbeit mehr für ihn hat und ihn deshalb auch nicht all zu lange beschäftigen und bezahlen wird können.

Vielleicht orientierte sich der Anwalt des AG an der bisherigen Rechtsprechung des BAG, nach der kein Betriebsübergang vorliegen konnte, wenn weder die Betriebsmittel an einen "Auftragsnachfolger" veräußert werden, noch der Auftragsnachfolger die bisherigen Arbeitnehmer übernimmt.

Dieses Ergebnis scheint mit hier aber sehr fragwürdig und mit dem Schutzgedanken des § 613a überhaupt nicht vereinbar.

Auch scheint mit die Ansicht des AG komisch, er sei ein Arbeitnehmerverleiher. Das muß doch schon daran scheitern, daß er dafür einer Erlaubnis nach Art. 1 § 1 I 1 AÜG bedürfte. Andernfalls wäre der ganze Werkvertrag nach Art. 1 § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam und es würde ein Arbeitsverhältnis zwischen "Entleiher" und "Leiharbeitnehmer" fingiert, Art. 1 § 10 I 1 AÜG.

Jedenfalls ist in diesem Fall aber problematisch, einen "Betriebsübergang" i.S.v. § 613a BGB festzustellen, da der § 613a I 1 BGB die tatbestandlichen Voraussetzungen äußerst ungenau umschreibt. Zugleich gibt es unterschiedliche Auslegungen bei BAG und EuGH und selbst die Rechtsprechung der beiden Gerichte ist von Fall zu Fall verschieden.

Es stellt sich die große Frage, wie der § 613a BGB bzw. die zugrunde liegende Richtlinie auszulegen sind.
 
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